02./03.07.2013
Tash Rabat |
Der Grenzübergang ist geschlossen, weit und breit kein Beamter in Sicht. Aber mit etwas Geduld ändert sich das ja vielleicht? Und tatsächlich: Da kommt einer mit dunkler Sonnenbrille angeschlichen. Er reicht die Hand durch's Tor und grüsst mit "Salem aleikum". Er schaut den Pass an und sucht nach einem Visum, findet das von 2012: "Visum?" Er sagt irgend etwas dazu aber wir verstehens nicht. Und dann sagt er fragend "Bakshish?" Wir erwidern mit freundlichem Lächeln "No!", wir bezahlen keine Dollars... er öffnet trotzdem das Tor und lässt uns rein. Wir fahren weiter bis uns ein anderer Beamter anweist zu ihm zu fahren. Er steigt auf das Trittbrett und zeigt uns, wohin wir fahren müssen. Dort kommt ein weiterer Beamter hinzu und sie wollen den Wagen inspizieren.
Sie nehmen den Esel vom Armaturenbrett, welcher Fabia zum Geburtstag geschenkt wurde. Sie mögen ihn offensichtlich, wir aber noch mehr. "Birthday present" sagen wir erklärend, während wir ihn wieder zurück stellen, wo er war. Dann gehen sie ins Heck und sehen die Black Diamond Stirnlampe. Sie gefällt ihnen sehr, uns aber noch mehr. "No!", we need this. Er findet erneut ein anderes Lämpchen und wieder "No!" we need this. Ihr Blick fällt auf die Oakley Brille mit Korrektur, die Dino für's Fahren trägt. Wir gehen nicht einmal auf diesen Blick ein. Der kleinen Rätschensatz spricht sie an beim Öffnen des Werkzeugabteils und auch hier erklären wir, wofür das ist und lassen keinen Zweifel daran, dass der nicht für sie bestimmt ist. Sie geben auf, wir machen hinten dicht und gehen alle zusammen in die Immigration. Der Pass wird gescannt, es gibt ein Foto dazu und der Stempel geht theatralisch und mit einem Klack! auf eine bereits mit Stempeln versehene Seite herunter. Das war's, wir können gehen. Das heisst, beim Wegfahren sieht der Zöllner die kleine Schildkröte auf dem Armaturen und äussert sein Verlangen danach, nur gut ist sie angeklebt! Er steht auf's Trittbrett und lässt sich ans Gate fahren, welches er öffnet und uns heraus winkt. Wir sind wieder in Kirgistan!
Die Kirgisische Bergwelt hat uns wieder!
Die Strasse ist im Bau und links davon begleitet uns der Grenzzaun über mehrere Kilometer, bevor wir in nördlicher Richtung davon abdrehen. Nach ein paar Kilometer kommt ein Checkpoint und der Beamte schaut die Pässe an und fragt nach Souvenirs... gibt's nicht bei uns. Er verstehts und geht ins Büro die Registrierung überprüfen. Danach erhalten wir die Pässe zurück und können weiter fahren.
Pferdeherden ziehen wieder frei durchs Land
Wir biegen von der Hauptstrasse auf eine kleine Piste ab, die in Richtung Tash Rabat führt. Dort gibt
es eine rund 600 Jahre alte Karawanserei, welche wir uns anschauen wollen. Sie wurde zur Zeit gebaut, als Kamel-Karawanen auf der Seidenstrasse unterwegs waren und diente als Unterschlupf für die Händler.
Die Piste schlängelt sich entlang einem kleinen Fluss durchs Wiesental, bis wir an eine Schranke fahren. Auch hier haben sie den Tourismus als Geschäftsmodell erkannt und so drücken wir die ersten SOM für Sightseeing ab. Aber es lohnt sich, da dieses alte Gebäude mitten in einer idyllischen Landschaft liegt und wir gleich davor unseren Nachtplatz beziehen können. Die Frau, die uns die Pforte zu den Gemäuern öffnet, fragt uns, ob wir bei ihr Nachtessen wollen. Klar ist es nicht umsonst, aber die Neugier treibt uns und das Essen besteht aus einer Suppe mit gutem, fettarmem Fleisch, einem frischen Salat vorweg und hausgemachtem Brot. Dazu gibt's süssen Kompott, Tee und Candies. Zu teuer zwar, aber es geht direkt an die Familie.
Tash Rabat - die kleine Jurten-Siedlung vor der Karawanserei
Die über 600 Jahre alte Karawanserei als Unterschlupf für Handelsreisende
Die Nacht ist angenehm ruhig und wir kriechen erst aus dem Schlafsack, als die Sonne erstmals den Wagen aufgewärmt hat - es ging gegen 5 Grad über Null. Aus den Dächern der Jurten steigt Rauch auf und die wenigen Gäste kriechen langsam heraus. Während dem Frühstück treiben die Hirten ihre Schaf-, Kuh- und Pferdeherden an uns vorbei. Hunde und Hühner statten uns einen Besuch ab in der Hoffnung, was fressbares zu ergattern (sie haben Erfolg) und die Sonne wärmt wohlig. Und dann kreuzt unerwartet ein weisser 4x4 mit CH Kennzeichen auf - er kommt fast genau auf der Route angereist, welche wir als Rückweg vorgesehen haben. Und er fährt in den Tibet, wir wissen uns also viel zu erzählen und so verlängern wir spontan um eine Nacht.
Um uns herum toben sich gerade Pferde aus...
... und die Schafe blöken uns ihr Leid während wir frühstücken
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04.07.2013
Song Köl
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Wer Murmeltiere mag, kommt hier auf seine Rechnung - es wimmelt von diesen fetten Hoppeltieren die wohl ein ziemlich sorgloses Leben zu haben scheinen. Der Fluchtinstinkt lässt aber etwas zu wünschen übrig, sie sind einfach zu träge mit dieser Masse...
Unterwegs liegt Koshoy Korgon, eine Karachaniden-Festung, welche dort vor rund 1000 Jahren gebaut wurde. Heute ist nur noch in Ansätzen eine Stadtmauer zu erkennen und das Museum ist eher etwas für Archäologen als für das allgemeine Publikum. Dafür fährt man durch ein typisches Dorf dieser Gegend und uns winkt man überall freundlich zu.
Die Karachaniden-Festung oder besser das, was davon übrig ist
So eine bunt durchmischte Wiese beginnt man nach so vielen Monaten
karger Landschaften zu schätzen - und der Duft erinnert an Schweizeralmen!
Kirgistan ist ein Wohlfühlland, das wird uns hier wieder bewusst.
Auf dem Weg zu nächsten Stadt Naryn fährt man an leuchtend farbigen Feldern vorbei, die vor den Bergen mit Schneespitzen fantastisch aussehen. Wir fahren mehrmals an Polizeifahrzeugen vorbei, die gerade Kontrollen durchführen, uns halten sie zu unserer Überraschung aber nie an. In Naryn fahren wir als Erstes an einen kleinen Markt heran, der gerade alles im Angebot hat, was wir suchen: Brot (frisch vom Ofen), Gemüse, Käse, Wurst, Orangensaft, Milch und noch ein paar Bier. So banal sich das anhören mag, für uns ist das schon ein ziemlich dicker Fang. Ansonsten gibt es hier aber nicht viel zu sehen und wir tuckern weiter.
Endlich können wir wieder nach Belieben Mittagessen, ohne auf den Guide Rücksicht nehmen zu müssen und so halten wir an einem klaren Bach und geniessen die wiedergewonnene Freiheit. Kurz danach geht die rund 40km lange Piste an den Song Köl (3016m) weg, die uns noch eine Weile beschäftigen wird. Wir kommen nur langsam voran und erst beim letzten Pass kurven wir uns durch viele Bögen innert kürzester Zeit um rund 500 Meter in die Höhe. Oben angekommen eröffnet sich wieder einmal eine riesige grüne Ebene, wo man am hinteren Ende weit entfernt den See blau schimmern sieht.
In kürzester Zeit erklimmt man auf diesem steilen und engen Naturpass die letzten 500
Höhenmeter, bevor man den Song Köl in der Ferne glitzern sieht.
Wir stellen uns zu einer kleinen Gruppe von Jurten, die auch von Touristen gemietet werden können und fragen nach, ob was auf dem Speiseplan steht: Es gibt Beshbarmak, soetwas wie eine Lasagne, das kirgisische Nationalgericht. Hinter unserem Wagen grasen die Pferde in einer weiss schimmernden Wiese, sie ist voll von - Edelweiss!
Liebe Schweizer, die gibt's hier wie Margeriten auf unseren Wiesen: Edelweiss!
Nachtrag der Redaktion: Das mit Beshbarmak ist ein Marketing-Gag - verkochte Nudeln mit trockenem Fleisch wäre eine passendere Beschreibung. Der Klumpen im Magen liegt schwer auf...
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05.07.2013
Jer Köchkü |
In der Nacht windet es ziemlich heftig und wir ziehen uns ins Erdgeschoss zurück, falten das Dach zu und haben wieder Ruhe um zu schlafen. Das Auto schaukelt sanft im Wind. Am Morgen scheint wieder die Sonne und die Aussicht auf den See und die Tiere davor ist ein Genuss. Pferde, Kühe und Schafe weiden in Herden und ziehen langsam über die weite Ebene. Gemütlich machen wir uns auf den Weg und entscheiden uns erst beim Fahren, nicht um den See herum sondern zurück zur Hauptstrasse zu fahren, von wo aus wir auf einem Umweg an den Ysyk Köl gelangen wollen - diesmal mautfrei, so hoffen wir. Vor einem Jahr waren wir ziemlich sauer, weil wir als Ausländer das 10-fache der Gebühr berappen mussten.
Wir wenden also und kehren dem Song Köl den Rücken - eine gute Entscheidung denn kurze Zeit später sehen wir im Rückspiegel eine dunkle Wand von dort her aufziehen. Die Wolken werden uns den ganzen Tag verfolgen und auch mehrmals benetzen, den See und die ruppelige Talfahrt überstehen wir aber trocken.
Der Song Köl liegt auf über 3000m, hat einen Umfang von ca. 100km und ist in ein
komplett grünes Hochplateau eingebettet - die Pferde, Kühe und Schafherden freuts.
Die Overlander aber haben Probleme damit, da der Boden sehr weich ist.
Kurz vor dem Einbiegen auf die Hauptstrasse von Naryn her kommend treffen wir auf einen Quadfahrer aus Österreich, ein Touranbieter für Zentralasien. Er freut sich über die Schweizer und gibt uns ein paar Tipps, wo's für unseren Geschmack was Passendes zu befahren gibt. Anstatt über Sary-Bulak nach Jer Köchkü zu gelangen sollen wir etwas weiter südlich nach dem Dolon-Pass nach links abbiegen, das sei viel schöner. Dass dieser Weg nicht auf unserer Karte zu finden ist, macht es interessant.
Tatsächlich biegt nach dem Pass die Strasse ab und wir fahren immer tiefer ins Tal und gewinnen wieder an Höhe. Überall stehen die typischen Bauwagen herum, in denen die Kirgisen in den entlegensten Orten leben. So fühlt man sich nie alleine. Freundlich wird von überall her gewinkt, wenn wir vorbei fahren. Alles ist saftiges Weidland und Tiere besiedeln das Gebiet grossflächig.
So sieht es hier überall aus (~3000m): Saftiges Weideland, klare Bergbäche
und Bergspitzen
mit Schneekrone
Wir kommen dem Chamaldinga-Pass näher, der nur als Wanderweg auf der Karte eingezeichnet ist. Nun beginnt es auch noch zu regnen und je höher wir gelangen schlägt es in Nass-Schnee um. Aber die Piste wird begleitet durch Strommasten und führt in die Richtung, in welche wir fahren müssen. Der Pass existiert also und ist gut befahrbar - die Karte ist nicht up to date.
Matschige Passstrasse, Gewitter und Nass-Schnee - Aber Lord Ganesh (unten links)
bringt uns sicher über den kleinen Hügel von nur 3400müM.
Noch 150km bis an den Ysyk Köl zu fahren macht keinen Sinn mehr und wir stellen uns in einer Nische neben die kaum befahrene Strasse zur Übernachtung. Der Regen peitscht abwechselnd mit Sonnenschein auf das Fahrzeug, wo wir gemütlich eine DVD schauen ("The Hobbits", von einer Kinoleinwand abgefilmt, Thailändisch gesprochen, keine Untertitel)
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06.07.2013
Tosor |
Die Nacht ist regnerisch und die Bergspitzen sind am Morgen weiss gezuckert. Da sind wir ja mal gespannt, wie die Piste aussehen wird. Was sich jedenfalls nicht geändert hat sind die Schlaglöcher, die ziemlich unsanft das Fahrwerk malträtieren. Notabene auch uns. Unsere Blattfedern scheinen langsam der Ruppelstrecken überdrüssig und haben an Spannung verloren.
Die Sonne wechselt sich mit feinem Regen ab. Irgendwo kommt unerwartet eine Weggabelung und etwas unsicher fahren wir weiter geradeaus. Am Anfang sieht es noch ganz passabel aus nur die Strommasten überqueren plötzlich den Fluss und folgen der Strasse auf der anderen Seite - normalerweise ein gutes Zeichen dafür, dass die Strasse dort besser sein muss. Es hat einen praktischen Grund: Der Unterhalt ist so einfacher. Logisch.
Nur finden wir diese andere Piste weder auf der Karte noch auf dem Navi - sie macht nur topografisch einen Sinn, führt sie über ein Seitental in eine weiter östlich liegende Passage zum Ysyk Köl.
Kurz vor uns liegen Steine quer in einer Reihe über die Strasse... ebenfalls ein untrügliches Zeichen dafür, dass unsere Routenwahl nicht die übliche ist.
Aber solange wir noch relativ frische Spuren auf unserer Piste sehen können, folgen wir dieser Route, da haben wir auch Navi-Support, was hilft. Allerdings zweifeln wir etwas an unserer Entscheidung, die Piste war früher einmal eine richtige Naturstrasse und ist in der Zwischenzeit total verwittert. 96km sind eine lange Strecke durch entlegene Bergtäler und wenn die Strasse schon von Anfang an so ausschaut, wie dann erst weiter hinten im Tal? In welchem Zustand ist der Pass auf 3900m? Jurten sind immer seltener zu sehen und wir fragen Hirten nach dem Weg, welche uns darauf noch einen Schluck vergorene Stutenmilch anbieten... Sie scheinen zu verstehen und winken uns in die erwartete Richtung. Ok, dann also weiter. Ein Auto kommt entgegen und auch der nickt. Die Strasse ist mehr ein Feldweg und öfter müssen wir wegen Verschüttungen ins Gras ausweichen. Stellenweise müssen wir noch weiter ausweichen, bis hinunter ins Bachbett. Hmm! Ob das eine gute Idee war? Aber wir können ja jederzeit zurück.
Links ist die Strasse abgerutscht und rechts neigt sie sich sehr stark
ab - es bleibt nur gerade die Kuppe zum Durchfahren
Ein Lada kommt uns entgegen. Kein Problem gibt er uns zu verstehen. Ob wir Medizin hätten? Nein, wir sind nicht vom roten Kreuz. Wir bieten Zigaretten an, sie haben auch eine schmerzlinderne Wirkung, wenn man lange und stark genug raucht.
Wieder einmal blockiert eine Schafherde die Piste und der Hirte kommt mit seinem Pferd daher geprescht und scheucht die armen Viecher davon. Dann posiert er für ein Foto und ist mit dem Ergebnis zufrieden. Noch eins im Gallop? Ja, das sieht auch gut aus. "Spasiba", und weg ist er wieder.
Kirgisen, ein zurecht stolzes Reitervolk!
Weiter gehts, vorbei an verschütteten Strassenabschnitten, durch Bergbäche und Geröll. Wieder kommt ein Auto und der Fahrer spricht etwas Englisch. "To Tosor? after 40km to the left. Road ok." Er erwähnt noch Radfahrer aus der Schweiz - wer wird sich denn sowas antun?! Tatsächlich, wir kraxeln die Piste hoch und sehen weiter oben zwei Radfahrer mit Vollpackung. Die spinnen! Und es sind wirklich die Schweizer. Da gerade Mittagszeit ist halten wir an und kochen für uns alle eine Suppe - André und Samuel sind sehr dankbar dafür, die Kracker und Farmerriegel lösen grosse Freude aus... Sie haben nur noch dreihundert Höhenmeter vor sich - aber die haben es in sich. Ach ja, sie sagten noch, dass das schlechteste Stück auf der anderen Seite des Passes komme! Na diese Bemerkung hätten sie sich sparen können.
Zwei Radfahrer auf dieser Passstrecke sind das letzte, was wir erwartet hätten...
... aber dann überrascht uns weniger, dass es Schweizer sind
Gerade setzt wieder Regen ein und die Piste wird zunehmend garstiger. Reduktionsgetriebe, 1. Gang und sorgfältig den Weg wählen, um die Seitenneigung gering zu halten. Oben angekommen hat der Regen sich in Schnee umgewandelt und es flockt, während wir angespannt darauf warten, wie denn nun die andere Seite aussieht. Und die Prognose passt - das was vor uns liegt gleicht einer Trialpiste! Das löst so den Gedanken aus: "Das geht unmöglich!" Mehrmals müssen wir aussteigen und die Routenwahl von aussen beurteilen. Mehrmals müssen wir zurücksetzen, um uns besser durch die Passagen bringen zu können. Die Steine sind nass und rutschig und es hat losen Schotter, beides ungünstig für eine berechenbare Fahrspur. Beide Köpfe hängen aus den Seitenfenstern, um Hindernisse und Engnisse präzise anzugehen und Neigungsbewegungen der Karrosserie voraussehen zu können. Wir haben nur einmal zuvor eine ähnliche schwierige Passage befahren müssen und das war in der Mongolei. Nur ohne Schneetreiben und nicht auf 3900m.
Sieht weniger dramatisch aus, als es sich angefühlt hat - aber für die heikelsten...
... Passagen konzentrieren wir uns lieber auf's Fahren als die Fotokamera
Wir schaffen die Passage ohne einen einzigen Moment des Kontrollverlustes oder einen Kratzer und sind froh, dass danach einfach nur wieder eine schlechte Piste kommt. Es dauert noch zwei Stunden, bis wir durch ein enges Tal aus dem Gebirge rollen und den Ysyk Köl vor uns haben.
Ysyk Köl: Auch wie vor einem Jahr von Regen begleitet und trotzdem ein schönes Wiedersehen
Und hier treffen wir erstmals wieder auf eine Strasse, die wir schon vor etwas weniger als einem Jahr befahren haben - auf dem Hinweg zur Mongolei. So schliessen wir den Kreis für ein erstes Mal, das nächste Mal wird es in der Schweiz sein.
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07.-14.07.2013
Bishkek |
Der Tag beginnt mit einem heftigen Gewitter und einem starken Regenguss. Rund ums Auto sammelt sich rasch eine anständige Kloake - ein erfrischender Einstieg in den Tag. Aber heute ist der Tag, an welchem wir erstmals auf einer Strasse fahren, auf welcher wir schon ein Jahr zuvor gefahren sind - bloss in die andere Richtung. So passt das Wetter also grundsätzlich ganz gut zur Stimmung.
Jurtensiedlung nach frühmorgendlichem Gewitter: Sieht idyllischer aus, als es sich anfühlt
Wir müssen nach Bishkek, um den voraussichtlich letzten Visa-Run zu absolvieren. Ein wenig prickelnder Gedanke, ist es doch immer mit viel Unvorhersehbarem und warten verbunden. Es gilt die Ämter zu finden, die Formalitäten zu erledigen (Einladungsschreiben besorgen, Passfotos teilweise mit Kopftuch für Frau, e-Formulare, Termin in Embassy organisieren, Fingerabdrücke, Einzahlen der Gebühr auf einer Bank, Beleg in Embassy zeigen) und mit Bangen auf den Abholtermin zu warten. Die Pässe müssen zumeist auf den Ämtern hinterlegt werden und dann kann man von "on the spot" (selten) bis zu "Wochen" darauf warten, bis man ihn zurück bekommt. In der Zeit kann man kein Bargeld an Bankschaltern bekommen oder weit reisen: Man sitzt also eigentlich fest.
Die Öffnungszeiten sind so kundenunfreundlich, dass sogar die Schweizer Post neidisch sein kann: Zum Beispiel Dienstag bis Freitag 09:00 - 12:00 Uhr, oder nur alle zwei Tage drei Stunden, oder nur eine Woche pro Monat (die Kasachen!). Es kann auch passieren, dass man in ein Embassy geht und der Konsul gerade nicht da ist. So muss man halt locker nochmals vier Tage länger warten, weil er ja erst am Montag zurück ist und es keinen Stellvertreter gibt. (=3 Zusatz-Übernachtungen in Bishkek). Oder eben, man läuft ins Kasachische Embassy um dort zu erfahren, dass es auf unbestimmte Zeit geschlossen ist... wer das Visum braucht, bucht also einen Flug woandershin um es dort zu kriegen. Dass man schon einmal schnarchende Pförtner aus ihren süssen Träumen wecken muss um Einlass zu erbitten geht unter Randnotizen. Abgesehen davon kosten Visa in der Regel zwischen 50 und 90 USD - zuzüglich die freche Expressgebühr von 25 - 50 USD wenn es denn in drei statt fünf Tagen gehen soll... Good value for money? No way!
Wie schön war es doch, auf dem Schweizer Konsulat den vorsorglich bestellten neuen Pass überreicht zu bekommen, ohne Anmeldung, trari und trara? Herzlichen Dank! Allerdings wird es wohl ebenso wenig erfreulich sein, in einer der Europäischen Konsulate ein Schengen-Visa zu ergattern, dies sei hier der Fairness halber doch auch noch anzumerken. Das klagen uns mehrere Kirgisen.
Wir haben dank Einladungsschreiben aus dem Iran und Usbekistan (je um die 40 bis
80 USD pro Person) und weiterer Unterstützung für Turkmenistan die Durchlaufzeit auf insgesamt 5 Arbeitstage reduzieren und die Erfolgsaussichten erhöhen können. Mit diesen Visas ist der Pass nun bis auf die letzte Seite voll, ein schönes Andenken!
Von Bishkek selbst haben wir viel gesehen und nichts richtig angeschaut ausser den Basar (Klar, Ersatzteilsuche Auto), das Einkaufszentrum Plaza (Foodstock auffüllen), Strassen (Verkehr ist recht diszipliniert, einfach zurecht zu finden), eine Dreherei (Autoersatzteile fertigen), die Post (haben aber trotzdem keine Ansichtskarten gefunden) und ein paar Restaurants. Es ist aber definitiv eine ordentliche, saubere und lebendige Stadt, die mehr zu bieten hätte, als wir "besichtigt" haben. Wir müssen uns ja was übrig lassen für den nächsten Besuch hier.
Bishkek ist das Drehkreuz für Overlander: Es hat hier sehr viele Konsulate und die Reisenden von Europa, die gegen Osten halten und die, die wie wir zurück kommen, schlagen hier die Zelte auf um die nötigen Visas zu beantragen.
Beliebt ist die Einreise von hier nach China entlang der nördlichen Seidenstrasse, über den Tibet oder nur um direkt in den Karakorum Highway zu gelangen. Und natürlich gegen Norden, Kasachstan, um in die Mongolei zu gelangen.
Von Europa gelangen die meisten entweder via Iran über den Pamir-Highway (Tajikistan) oder über die Türkei nach Georgien und dann über das Kaspische Meer oder über die Ukraine durch Kasachstan hierher. Und dann ist eben Visa-Run angesagt. So erstaunt es wenig, dass wir die Schwedische Familie und die Schweizer Familie mit dem uralten Renault Estafette (siehe Nepal) hier wieder antreffen. Wir treffen aber auch die ersten Reisenden, die uns entgegen fahren und viele Radfahrer! So wird die Wartezeit hier fast wie ein kleines Happening und die Zeit geht schnell vorbei. Nur schade gibt es hier nicht sowas wie das "Oasis" in der Mongolei... eine Marktlücke?!
Von den Einheimischen Kids abgeschaut: Michael (CH) und Tanja (SE) sind
Kinder von anderen Overlandern, mit denen wir gerne die Wartezeit verbringen
Wer übrigens ähnlich wie Overlander aber halt eben doch nicht so frei reisen will, der kann sich ja mal odyssey.co.uk anschauen - wie wir aus zuverlässigen Quellen wissen, kann das aber sehr anstrengend werden. Nicht wegen der Reiseagenda, nein, wegen der Reiseteilnehmer. Bei Obama's (wer tauft schon sein Steak-House so?) zu Besuch treffen wir auf zwei, die es gerade erleben. Wir kringeln uns vor Lachen über die Episödchen und hoffen innig, dass diese in einem Buch mit zum Beispiel dem Titel "Why the Hell to Xi'an?" Eingang finden werden.
Wir haben uns im Guesthouse Crocus eingemietet, ein paar Nächte im Haus, ein paar Nächte davor im Auto. Es ist ein sehr gepflegtes und einladendes Guesthouse und verdient nach all den Absteigen der letzten Monate ehrliches Lob: Die Räume sind mit TV (wofür braucht man sowas?), A/C und natürlich heissem Wasser ausgestattet. Auf der kleinen Veranda arbeiten wir stundenlang im Schatten einer Laube und inhalieren das High-Speed-WiFi! Die Räume sind makellos sauber - die Adresse kann nur wärmstens empfohlen werden.
Unsere Host-Family, die Besitzer des Guesthouse Crocus
Die Kehrseite davon: Um in die Stadt zu gelangen muss man ein paar Minuten Auto fahren und das erhöht das Konfrontationsrisiko mit der Polizei... Die grossen Kreuzungen funktionieren eigentlich alle gleich: Wenn es grün wird, fährt alles was geradeaus, links oder rechts abbiegen will gleichzeitig los. Da es Gegenverkehr hat, muss der Linksabbieger aber warten bis es rot wird und der Gegenverkehr stoppt. Erst dann biegen sie effektiv ab. Sie blockieren damit aber die nächste Grünphase und so dreht sich das Gedränge heiter um die Kreuzung. Ein paar Meter danach wartet dann die Polizisten und kassiert ab. So auch bei uns, am letzten Tag. Der Offizirski winkt uns mit seinem Knüppel an den Strassenrand und versucht uns zu erklären, dass wir bei rot abgebogen sind. Sind wir nicht, nein. Er bleibt aber bei seiner Position und verlangt Führerausweis. Kriegt er. Passport! Kriegt er nicht, den haben schon die Tajiken im Konsulat (puah!), Fahrzeugdokumente! Kriegt er. Und erneut: Straf! Wir bleiben dabei, dass wir nicht verstehen, was unser Fehler gewesen sei. Straf! Aber wir nix Russisch und er kein Wort Englisch - schlussendlich gibt er es auf mit den dummen Touristen und wir sind gerade nochmals an einer (möglicherweise gerechtfertigten...) Busse vorbei gekommen. Somit bleibt unsere Verkehrsbussen- und Schmiergeldstatistik nach einem Jahr weiterhin beim Stand "0"!
Der Verkehr ist übrigens phänomenal inkonsequent hier: Es gibt soviele Links-Lenker wie Rechts-Lenker. Natürlich ist es eher aus Not entstanden, da gute Occasionsfahrzeuge gesucht sind und offenbar der Europäische Altfahrzeugmarkt nicht ausreicht, die Nachfrage zu decken. So kommen sehr viele Fahrzeuge direkt aus Japan und die sind halt eben verkehrt-rum gebaut. Das stört hier offensichtlich aber weder Gesetzgeber noch Verkehrsteilnehmer und so chattet man beim Rotlicht schon mal durch's offene Fenster zwischen Fahrern von zwei SUV's oder gibt sich Feuer für die Zigarette... witzig und völlig unkonventionell. Der Brüller ist aber schon, wenn ein Kastenwagen gross mit "Appenzeller-Käse" Werbung oder ähnlich beschriftet daher kommt: Es sind alles Exportfahrzeuge, deren neuen Besitzer sich nicht einmal die Mühe geben, die alte Aufschrift zu entfernen.
Und der letzte Eintrag geht um ein liebenswertes Päärchen, Yuri und Olena. Es sind Nachbarn des Guesthouse Crocus, ungefähr in unserem Alter. Er sah unseren Wagen und kommt uns eines Abends mit seiner Frau besuchen. Er fährt selber einen fast gleich alten Landcruiser und sie reisen damit auch schon im nahen Ausland herum. Er lädt uns auf einen Tee zu ihnen nach Hause ein, was wir gerne annehmen. Obschon wir schon sagen, nur Tee, wir hätten schon gegessen, gibt's eine feine Fleischbrühe, Salat, Obst, ... ! Und schon fast war es Mitternacht. Sein Englisch ist gut und so können wir mehr von ihnen und ihrem Leben erfahren. Ein komischer Gedanke: Als sie sich kennen lernten, waren sie noch in demselben Land zu Hause, der UDSSR. Dann kam Perestroika und fortan ist er Kirgise (spricht aber kein Kirgisisch) und sie Russin. Sie bieten uns Hilfe an, falls wir am Auto schrauben müssten und wollen uns auf den Basar mitnehmen... schlussendlich lassen wir uns beim letzten Ölwechsel dieser Reise helfen. Er kennt den richtigen Shop für's Öl und will den Wechsel auch gleich bei ihnen zu Hause durchführen (das Altöl verwendet er zum Heizen, den Brenner hat er selbst gebaut, die Anleitung dazu hat er aus dem Internet). Da er Mechaniker für Dieselgeneratoren einer Minenbau Firma ist, weiss er auch, wie das zu tun ist. Und er tut es mit einer Sorgfalt, die uns beeindruckt.
Leider sind wir erstmals gesundheitlich gezwungen im Zimmer zu verweilen und sogar dort kommen sie uns besuchen, bringen Geschenke für uns mit.
Erneut eine Begegnung, die wir nicht missen wollen!
Mitternachtsvesper bei Yuri und Olena
Trotz komplett mit unserem Öl versauter Kleidung: Yuri kümmert sich mit einem
Strahlen im Gesicht um unseren BT-13 Motor. Er würde ihn am liebsten gleich
in seinen Wagen einbauen ...
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15.-18.07.2013
Osh
Sary Tash:
365 Tage auf Achse
Ausreise
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Endlich kommen wir weiter! Nachdem wir das Tajik Visum im Pass haben, steuern wir aus der Stadt und freuen uns, wieder unterwegs zu sein. Es steht eine intensive Reisezeit bevor, um die nächsten vier Länder zu schaffen!
Die nächsten 600km gleiten ohne besondere Vorkommnisse jedoch mit weiterhin gefälliger Landschaft an uns vorbei, bis wir Osh erreichen. Das ist eigentlich eine Grenzsstadt zu Usbekistan, für uns aber nur ein kurzer Zwischenstopp um letztmals richtig viel Diesel zu tanken (in Tajikistan ist die Versorgungslage ungewiss) und Geld zu wechseln. Die Entdeckung des Tages: Eine Türkische Bäckerei mit einer Auslage, dass einem die Augen tränen! Ein übergrosser Muffin und ein Croissant, das mit Dulce die Lece gefüllt ist, sind unsere Wahl. Sie schmecken köstlich. Auch ist gerade Markt und daher buntes Treiben. Wenn auch nur kurz, so hat uns Osh eigentlich ganz gut gefallen.
Jurten gibt es auch zweistöckig
Letzte Impressionen aus dem ...
... herrlichen Reiseland Kirgistan
Türkische Bäckerei: Die Kuchen links unten, neben der Frau sind Muffins. Die Dinger
rechts vom Mann Croissants mit einer Dulce di Lece Füllung
Da mögen noch andere die frischen Brotfladen
Ab jetzt gehts wieder in die Höhe: Sary Tash liegt auf rund 3000m. Es ist ziemlich gut geeignet um sich über Nacht wieder zu aklimatisieren. Morgen dann steigen wir auf 4600m auf, um auf dem Kyzyl-Art Pass die Grenze nach Tajikistan zu überschreiten.
Es windet ziemlich stark und wir suchen Schutz im Dorf. Wir finden eine Familie, die gerade vor dem Haus neue Decken aus Filz näht und fragen, ob wir uns an ihr Haus "anlehnen" dürfen. Klar finden sie die Frage etwas komisch, aber lassen es dann zu. Die Familie lebt sehr einfach und der Vater will Dino stolz mit seinem Wagen zum Trinken ins Dorf einladen, das wäre aber nach diesem Höhenaufstieg ziemlich unklug. Gut versteht er das. Immer wieder bekommen wir Besuch, einmal mit frischem Joghurt, oder einfach so. Dann kommt die Nachbarin mit einem Handy in der Hand und da werden wir gefragt, ob wir nicht bei ihr übernachten wollen, wir könnten ein Hotelzimmer auch gratis bekommen. Trotzdem lehnen wir ab, wir haben alles, was wir brauchen.
Sary Tash auf 3000m in der Abenddämmerung
Diese Familie spendet uns mit ihrem Haus Windschatten für eine
ruhige Akklimatisationsnacht
Der letzte Abend in Kirgistan ist aber auch sonst ein besonderer: Heute vor exakt einem Jahr sind wir völlig erschöpft in unsere Recaro-Sitze gefallen und konnten den Zündschlüssel drehen, aufbrechen auf eine damals noch ganz anders geplante Reise... wir feiern das mit einem pulverisierten Fertig-Fondue eines deutschen Fabrikats und zweifeln schon am Ergebnis, bevor es in der Pfanne zu schmelzen beginnt. In der Tat müssen wir nach ein paar Bissen aufgeben - "lower your expectations", einmal mehr.
Noch kurz auf das Klo und plötzlich steht im Dunkeln ein Pferd mit einem Reiter vor uns. Kurze Verunsicherung, dann reiten sie auf uns zu, der Reiter stellt sein Pferd kurz auf die Hinterbeine und lässt uns danach das Pferd kurz berühren. Alles geschieht eigentlich ohne zu reden und schon kommt sein Kollege, springt hinter dem Reiter auf den Sattel und sie galoppieren davon. Was die Jungs an anderen Orten mit ihren schnellen Motorrädern Wheelies machen um Eindruck zu schinden, macht man hier mit den kräftigen Pferden "Hufies".
Das Leben ist so anders hier, es ist immer wieder faszinierend!
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